Sprachlos
Ein bleiches Licht fällt durch ein Fenster und bringt den Staub im Raum zum schweben. Ich sitze auf einem schmalen Stuhl, in der Überzeugung, dass sich Anfang und Ende kaum unterscheiden und schaue statt in die Leere oder nach draußen, auf den Fleck einer zerdückten Fliege auf der Scheibe, quasi die Erinnerung an ein vergangenes Leben. Vor mir auf dem Tisch kein Blatt, geschweige denn ein Stift zum Schreiben, noch nicht mal ein Ton, weder Wind, noch das Rattern einer Fensterlade, nur dieses unmerklich langsame Beben eines leeren Raumes, mit seinen tiefen Atemzügen, vermutlich die Heizung.
In mir nur ein dichtes Schweigen vor dem ersten Gedanken, ohne Entscheidung, noch nicht mal eine Richtung, die eine unbestimmte Form annehmen würde, sobald mein Blick an einer Stelle haften bleibt, weshalb wahrscheinlich auch die Wände langsam auseinander rücken und sich die entstehende Leere, unter einem kaum merklichen Sog, zu einem Flüstern verdichtet. Sofort will ich mich aufs notieren vorbereiten, weiß aber nicht wo, meinen Vorrat an Papier habe ich zerknüllt, verbrannt, zerrissen und beschmiert.
Also hebe ich langsam meine Hand, um zumindest das Zittern in der Luft zu sortieren, aber die Geräusche wehren sich gegen jede Bewegung oder Deutung, lösen sich wieder auf, zerrinnen durch die rechte Hand, bleiben kurz auf der Linken liegen und verteilen sich wieder im Raum. Hinter jedem Ton verbirgt sich die nächste untrennbar ineinander tanzende Welle schwingender Luft, so unberechenbar, wie meine leise Freude an der ganzen Sache selbst.
Ich stelle mir vor, wie jemand den Raum betritt, sich über den Qualm meiner Zigarette beklagt und mir ein Notizbuch reicht und eine Tasse Kaffee, dessen Duft sich mit dem Geruch der Person zu einer Erinnerung vermischt, einem Faden der Vertrautheit, notiere ich in Druckbuchstaben auf der ersten leeren Seite, bevor mir der Kaffee über das Blatt läuft, ein schönes braun denke ich und zitiere mich zugleich in Gedanken.
Unsere Sprache lebt ja von solchen Zufällen, von Wörtern, Blicken und Pausen, jeder Satz wie ein Bauplan, wo sich Dinge formen, Entwürfe verzweigen, zerfallen und neu zusammenfügen. Unsere Dialoge sind beiläufig, dafür ist unser Schweigen vehement, wie Splitter einer längst zerschlagenen Skulptur, die aber dazu taugen, aus einem rohen Brocken wieder alles unnötige herauszuhauen, um wieder eine Form zu finden.
Der vom Papier aufgesogene Kaffeefleck bildet mittlerweile eine ausgedehnte Pfütze, wie eine alte heilende Wunde, ein im Kopf kreisendes Bild, ein sich verschiebender Plan oder ein gerade greifbarer Umriss, ein Zeichen vielleicht, dass ich an seinen Rändern falte und zerreisse und ins Fenster hänge, damit das sich tiefer in den Raum geneigte Licht hindurch und der Schatten an die Wände fällt.
Das verwickelte Papier ist nicht nur das Archiv meiner Gesten, sondern auch mein Mahnmahl der Geduld und da das Flüstern längst verstummt ist und mich dem Schweigen überlassen hat, sitze ich in diesem bröckelnden Gleichgewicht zwischen mir und dem Papier und lausche einfach dem leisen Jubel meines Herzens, das in dieser Ruhe eine Form gefunden hat.